Wenn ich Auto fahre, höre ich oft Radio. Zum Einen, weil mein 27 Jahre alter Golf außer Radio nur Kassette kann. Zum Anderen, weil es manchmal irgendwie gut tut, aus den hyperpersonalisierten Strömen von Podcasts und kuratierten Playlists aufzutauchen. Die eigene Filterblase verlassen, könnte man sagen.
Heute fuhr ich also Auto. Und hörte Radio. Ich hörte einen Sender, der abwechselnd die Musik meiner Vätergeneration (Born in the USA-A-A) und die meiner Jugend (I’ve become so numb) spielt. Dazwischen kommt Werbung dafür, dass man dort Konzertkarten für sich und seinen Rockbuddy gewinnen kann. In anderen Worten: Der Sender zielt auf Erwachsene ab. Und auf Männer. Seit ich einen Leatherman am Gürtel trage, darf ich auch Dad Rock hören. Finde ich. Manchmal finden das wohl auch richtige Männer, wenn sie mit ihren Motorrädern an meinem offenen Autofenster vorbei fahren und mir kumpelhaft zu nicken.
Heute gab ein sogenannter Finanzexperte im Radio zwischen den Songs Investitionstips. Er sagte, es sei gar nicht die Frage, ob man sein Geld jetzt anlege. Sondern wo. It’s the eye of the tiger, it’s the thrill of the fight, sangen Survivor, rising up to the challenge of our rival.
In Bitcoin solle man investieren, sagte der Finanzexperte, und auf jeden Fall in Gold. Und in Silber. Silber sei schließlich das Gold des kleinen Mannes.1 Und in alles, was gerade nicht gehyped wird, da müsse man gegen den Strom schwimmen. Das hätte Potenzial. Fossile Energieträger. Kohle.
Kohle?!
Von welcher Lobby wird der denn bezahlt, dachte ich. Kohle. Ein Energieträger, der in Deutschland bestens in sechs Jahren und spätestens 2038 nicht mehr genutzt werden soll.
Da könne man auch noch richtig in die Zukunft investieren, sagt der Finanzexperte. Nicht nur global betrachtet (er lacht), da darf man auch mal an die eigenen Kinder denken.
Can’t stop, come and tell me when it’s time to, sangen die Red Hot Chilli Peppers und der Finanzexperte sagte: Die Inflation kommt und wird auch wiederkommen. Die Kaufkraft des Euros sinkt. Seit seiner Einführung ist sie schon um 95 Prozent gesunken. In Sachwerte zu investieren ist die einzige Möglichkeit, das eigene Vermögen zu schützen.
Okay, dachte ich, so einer ist das. So ein Weltuntergangspriester. Der Crash kommt, legt euer Geld schnell an. Von wem er bezahlt wird, ist eigentlich egal, Bitcoin oder Fossillobby haben in ihm einen gleichermaßen nützlichen Populisten gefunden.
The Cure sangen: But I just keep on laughing, hiding the tears in my eyes.
Ich stelle mir die Radiohörer vor; die Lone Wolfs und die Dads in meinem Alter, und die Papas im Alter unserer Väter2 , wie sie in ihrem Auto, in der Werkstatt sitzen. Das Radio spielt die Musik ihrer Jugend; AC/DC und Green Day, und vielleicht wären sie ein bisschen nostalgisch. Ich stelle mir vor, wie der Finanzexperte mit seinen Weltuntergangsbotschaften an den Albträume dieser Männer rührt; diesen Männern, denen man ihr Leben lang erzählt hat, dass sie Versorger ihrer Familien sein müssen, Felsen in der Brandung, selbstbewusst, unverwüstlich. Besonders in der Krise. Die bei der Geburt ihres Töchterleins auch mal Rührung zugeben dürfen, aber was sie auf keinen Fall zugeben dürfen: dass sie das alles mit dem Finanzmarkt und der Kaufkraft und den Bitcoins doch noch nicht so genau verstanden haben.
Boah, dachte ich, mies. Zum Glück bin ich gegen diese Werbung immun.
Gold?
Abends liege ich mit meinem Hund auf dem Sofa und schaue ein YouTube-Video. Es geht um einen Werbefilm, der sich als Dokumentation tarnt. Erzähler niemand anderes als Hollywood-Star Idris Elba. Idris Elba erklärt, weshalb Gold kulturell total relevant ist und Goldminen richtig tolle Arbeitsplätze und überhaupt keine Umweltbelastung.3 Produziert wurde der Film vom World Gold Council, einer Art Goldlobby.
“It’s corporate propaganda”, sagt der Sprecher des YouTube-Videos.
Als das Video zu Ende ist, fühle ich mich leer. Hab ich mich gerade eine Stunde lang über Goldinvestitionen informiert? Obwohl ich vor dem heutigen Tag noch nie daran gedacht habe, mein nicht vorhandenes Vermögen in irgendetwas geschweige denn Gold zu investieren?
Zielgruppe, ich sags ja.
mein eigener Vater passt nicht so wirklich in diese Zielgruppe, er hört eigentlich nie dad rock, soweit ich weiß (hallo papa übrigens!)
Das ist natürlich Bullshit, wie ich jetzt weiß.