Ich habe zwei Namen. Antoni und Dylan. Wenn ich mich vorstelle, sage ich: „Hey, ich heiße Antoni. Oder Dylan.“
Darauf mein Gegenüber: „Und wie soll ich dich nennen?“
„Ich mag beides.“
„Aber welchen Namen magst du lieber?“
Ich habe viel darüber nachgedacht, warum meine zwei Namen irritieren. So außergewöhnlich ist das schließlich nicht. Ich erinnere mich an einen Typen aus meiner Schule, den wir bei mindestens drei Namen nannten. Wenn wir bei Haustieren oder Partner*innen nach dreien aufhören, haben wir uns wahrscheinlich zurückgehalten.
Neulich las ich einen Essay mit dem Titel "What's your real name?" geschrieben von einer Sexarbeiterin namens Lana. Darin schreibt Lana über den Wunsch ihrer Kund*innen, ihren richtigen Namen zu erfahren — den sie nie preis gibt. Nicht nur, um sich vor Übergriffen und Verfolgung zu schützen, sondern auch um ihr Arbeits-Ich von ihrem Freizeit-ich zu trennen. Denn Sexarbeit ist Arbeit. Lana vergleicht es mit der Arbeit von Schauspieler*innen, die ebenfalls eine Fantasie verkörpern, aber dabei trotzdem irgendwo sie selbst sind:
„Du kannst nicht aus der Performance verschwinden. Das gleiche gilt für Sexarbeit. Lana ist Ich und ich bin Lana - aber Lana ist nicht die gleiche Version wie ich zu Hause, obwohl sie mich auch dort begleitet.“1
Der Wunsch danach, Lanas richtigen Namen zu erfahren, ist ein Begehren nach der wirklichen Lana, die sich irgendwo hinter ihrem Performerinnennamen und der Performance verstecken soll.
Die Vorstellung der wirklichen Person entdecke ich immer wieder. In einem Video Essay sagt Abigail Thorn, trans* Schauspielerin und Essayistin:
„Wir reden oft über Gender, als handle es sich um eine innere Wahrheit. Wenn Menschen zum Beispiel ihr Gender wechseln und sich outen, sprechen wir oft von authentisch leben oder sich selbst treu sein. Schon der Begriff Coming-out impliziert, dass es ein authentisches Selbst gab, das bisher verborgen war.”2
Eine zeitlang fand ich die Vorstellung dieses wirklichen Ichs verlockend. Ich suchte in meiner Biographie nach Hinweisen auf mein eigentliches Ich: Ich schrieb früh Geschichten aus männlicher Perspektive. Ich war nie like the other girls. Eine meiner liebsten Buchfiguren war Alana; Alana verkleidete sich als Junge, um am Hof des Königs Ritter zu werden. Genauso wie Alana versuchte ich einmal meine Brüste abzubinden.
Das Ding ist, dass diese Liste nie vollständig wird. Ich kann sie zwar fortführen, aber es wird sich nie das befriedigende Gefühl einstellen, nun die Wahrheit entdeckt zu haben.
Das Ding ist, dass ich mich manchmal schminken will und glitzernde Dinge tragen und hautenge Oberteile. Dinge, die als weiblich markiert sind. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich mir selbst das trans* sein abspreche, weil ich ein bauchfreies Oberteil trage.
Abigail Thorn erzählt, dass zumindest in Großbritannien von trans* Frauen wie ihr erwartet wird, eine bestimmte Geschichte des eigenen Lebens zu erzählen: „Seit ich ein kleines Kind war, nannte ich mich selbst Wendy und trug die Kleider meiner Mutter…“ Ob man Zugang zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen erhält, kann davon abhängen, wie sehr das eigene Leben in die Erzählung von wirklichem trans* sein passt.
Das Transsexuellengesetz (TSG) in Deutschland, mit dem trans* Personen bis zur Einführung des Selbstbestimmungsgesetz Namen und Personenstand ändern können, funktioniert ähnlich. Zwei unabhängige psychologische Gutachten sollen einem Gericht beweisen, dass eine Person
wirklich trans* ist
schon seit Jahren trans* ist
auch in Zukunft trans* ist
Wenn man die rigorosen Prozesse betrachtet, mit denen Staat und Medizin die Echtheit von trans* Personen prüfen, fällt auf, wie sehr die Kategorie trans* und damit Geschlecht an sich kontrolliert wird. Seit ein paar Jahren nimmt der Backlash gegen trans* Personen zu. In der trans*feindlichen Bugwelle machen Konservative auf der ganzen Welt Stimmung gegen emanzipatorische Politik.
Bei Betrachtung des sogenannte Selbstbestimmungsgesetz erkennt man, warum die Aufrechterhaltung von Zweigeschlechtlichkeit so zentral für den Staat ist: Das Selbstbestimmungsgesetz lässt nämlich eine Tür offen. Im Kriegsfall hört es auf zu gelten. Zumindest für diejenigen, denen bisher ein männliches Geschlecht zugeschrieben wurde.
Denn Männer müssen für ihr Land sterben, während Frauen Kinder für ihr Land machen.
Abigail Thorn sagt:
„Nach Judith Butler war und ist die Festlegung dessen, was „weiblich“ ist, eine Schlüsselstrategie des Patriarchats. Der Versuch einer exakten Definition wird immer ausgrenzen, während eine gewisse Grauzone eher integriert. Butler sagt, jede Identitätskategorie — wie schwul, lesbisch, trans — begrenzt. Der Versuch, jede*n in eine bestimmte Schublade zu stecken, als ob ein inneres Selbst einer dieser Kategorien entspricht — das ist einfach eine schlechte Idee.”3
Wahrscheinlich ist es genau das, was an meinen zwei Namen irritiert: dass sich keiner davon auf mein wahres Ich zurückführen lässt. Bin ich jetzt Antoni oder bin ich Dylan?
Ich bin Antoni. Ich bin Dylan.
„You can’t erase yourself from the performance. The same is true in sex work. Lana is me and I am Lana – but Lana is not the same version of me at home, though she still sits with me there.“ - Lana, übersetzt von mir.
„We often talk as if gender is an inner truth. For example, when people change gender and come out, we’re often said to be living authentically or being true to ourselves. Even the term coming out implies that there was an authentic self before who was hidden.“ - Abigail Thorn, übersetzt von mir.
„[Butler] says that defining womanhood has been and still is a key strategy of patriarchy. Trying to set an exact definition is always going to be an exclusionary project, whereas a certain amount of grey area would be more inclusive. Indeed they say that any category like gay, lesbian, trans imposes limits, and trying to make everybody fit one specific box as if they must have some inner self, that corresponds to one of them - that’s just a bad idea.“ - Abigail Thorn, übersetzt von mir.
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love it <3 danke fürs teilen!