Das einwortKollektiv besteht aus Autor*innen, die sich alle zwei Monate von einem gemeinschaftlich bestimmten Wort inspirieren lassen. Dieser Text ist Teil der Edition SCHNITT. Die Texte der anderen Autor*innen dieser Ausgabe erschiennen auf den Substack-Blogs von Sofia B, Franziska König, Kea von Garnier und Oliwia Hälterlein.
**Dieser Text behandelt Belästigung und sexualisierte Gewalt**
Ein warmer Nachmittag im Frühsommer. Die Tische der Cafés sind besetzt, Paare halten Händchen, Bummelnde ziehen mit Einkaufstüten durch die Fußgängerïnnenzone. Menschen haben ihre Jacken ausgezogen und auf die leeren Stühle neben sich gelegt. Ich bin auf dem Weg zum Supermarkt. Ich trage ein Top, das Schultern und Dekolleté zeigt.
„Hey, süße Maus“, sagt ein Typ im Vorbeigehen.
Wie alle Menschen, die (manchmal) als Frauen wahrgenommen werden, erfahre ich Belästigung auf der Straße. Im Vergleich zu meinen Freundïnnen, die sich femininer präsentieren, hält es sich noch in Grenzen.
Für mich ist jede sexualisierte Bemerkung eines Fremden auf der Straße ein Einschnitt in meinem Alltag. Ein Angriff auf mein Subjekt-Sein, von dem ich mich erholen muss. Eine Zuschreibung, die ich abstreifen will, als wäre sie mir nur übergestülpt worden.
Das Problem ist: Da ist nichts übergestülpt worden. Deswegen gibts auch nichts abzustreifen. Straßenbelästigung ist nicht nur Zuschreibung an einen Körper, sondern Eingriff in das humanistische Versprechen von der Würde des Einzelnen. Das Problem ist: humanistische Werte waren von Anfang an nicht allgemein gedacht; sie galten in erster Linie für besitzende weiße heterosexuelle Männer.
Hunderte Feministïnnen vor mir haben die Folgen dieser andauernden Verwundung benannt: Durch die Bewertung (oder das Begrapschen) des weiblich wahrgenommenen Körpers auf der Straße, erhält sich patriarchale Macht im öffentlichen Raum. Straßenbelästigung ist ein Herrschaftsinstrument, mit dem weiblich markierte Körper an ihren Platz im Häuslichen erinnert werden. So erhält sich auch die Kontrolle von Männern über Frauen (und damit die Zweigeschlechtlichkeit). Belästigt werden in erster Linie diejenigen, die alleine unterwegs sind. Wie alle weiblich sozialisierten Menschen hab auch ich früh gelernt, auf ungewollte Datinganfragen von Fremden im öffentlichen Raum mit “Ich hab einen Freund” zu reagieren.
Ein Pfiff oder Schnalzen im Vorübergehen erscheint vielleicht harmlos. Doch auch der Pfiff soll auf den Platz verweisen. Ihn als Warnung davor zu verstehen, dass weiblich markierte und gendernonconforming Körper notfalls auch mittels sexualisierter Gewalt daran erinnert werden, wohin und wem sie gehören, ist keine Überinterpretation. An dem Platz, an dem man mich eine süße Maus nannte, hatte ein paar Monate zuvor eine Gruppe Männer eine Frau auf offener Straße verge*altigt.
So wird eine Angst im öffentlichen Raum erzeugt, die von vielen Frauen und Femmes quasi als Teil der weiblichen conditio humana benannt wird. Ich finde es wichtig, diese Angst ernst zu nehmen. “Schreib mir, wenn du zu Hause bist”, sagen. Eine Übernachtung anzubieten, wenn sich jemand allein in der Wohnung unwohl fühlt. Das sind nicht nur Gesten der Freundschaft, sondern auch der Solidarität; sie setzen dem Gefühl des Isoliertseins die Stärke der Gemeinsamkeit entgegen.
Genauso wichtig finde ich es, sich vor Augen zu führen, dass diese Angst ein Instrument der Kontrolle über weiblich markierte Körper ist. Und dass es kollektive Lösungen braucht, um sich von patriarchaler Kontrolle zu befreien. In vielen Städten gibt es zum Beispiel Gruppen, die als “Catcalls of the City” Belästigung ankreiden und sich so den öffentlichen Raum zurücknehmen.
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Ich habe meine eigenen kleinen Umgänge. Umgänge, die für mich als nicht-binäre, androgyne Person wahrscheinlich anders aussehen als für viele Frauen. Denn Straßenbelästigung ist für mich doppelte Gewalt: erstens durch den Übergriff und zweitens durch die Markierung als “weiblich”.
Meine Reaktionen sind laut und vulgär. Dem Typen vor dem Café zeige ich den Mittelfinger und rufe über den Platz, so laut, dass sich die Cafégäste umdrehen: „Bin keine Maus. Fick dich!“ Manchmal schaue ich dem Typen ins Gesicht und schreie: “Verpiss dich!” Mehr als einmal wurde mir mit körperlicher Gewalt gedroht. Aber im Moment des Dagegenhaltens, wenn das Adrenalin durch die Venen rauscht, ist die Vorstellung einer Prügelei auch irgendwie ok, da übernimmt der Reptilienteil des Hirns.
Meine Handlungen brechen mit weiblichen Rollenerwartungen und stellen damit für mich ein intaktes Selbstbild wieder her. Sie setzen der Bewertung etwas entgegen und brechen gleichzeitig mit der weiblichen Markierung.
Es gibt genug Erzählungen über Frauenfiguren, die nach einer Verge*altigung zu einer Art Racheengel mutieren, um ein ganzes Genre nach ihnen zu benennen, den “Rape and Revenge Movie”. Aber was ist mit Erzählungen über Frauen und Femmes, die sich Raum einfach nehmen, ohne zuvor traumatisiert worden zu sein?
Wie können wir nicht nur Sprachen finden für das, was uns bereits geschehen ist, sondern all das, was geschehen könnte?
Ich bin neugierig auf eure Umgänge mit Belästigung. Wie sichert ihr euch Räume? Wie passt ihr aufeinander auf? Kreidet ihr an? Und was hilft euch eine Verwundung zu überwinden? Schreibts in die Kommentare, passt auf euch auf und sagt Bescheid, wenn ihr zuhause seid ♡
Auf den Punkt gebracht 🙏
Wenn ich mich sicher fühle schrei ich rum, dabei kommen manchmal komische Sachen raus, wie als ich einen Typen in Auto angegangen bin: „Du bist hässlich, ich will nichts von dir! Dein Auto ist auch hässlich!“
🙃
Danke für diesen Text! Deine Reaktion finde ich total toll, habe mich das aber leider bisher noch nie getraut... habe dazu auch mal einen Newsletter geschrieben: https://open.substack.com/pub/fastjedensonntag/p/sprachlos-in-der-stadt-catcalling-und-w-rterb-cher?r=rg5ds&utm_medium=ios&utm_campaign=post